Aufenthaltserlaubnis für Flüchtling fraglich

Verwaltungsrecht / Ausländerrecht [24.05.2012]

Aufenthaltserlaubnis für anerkannten Flüchtling wegen Unterstützung des KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistan) fraglich

Bei nicht beabsichtigter Abschiebung kann bei gegenwärtiger Gefährlichkeit des Flüchtlings dennoch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verweigert werden

Rechtfertigen Tatsachen die Schlussfolgerung, dass ein anerkannter Flüchtling eine Vereinigung unterstützt, die den Terrorismus unterstützt, kann diesem die Aufenthaltserlaubnis versagt werden. Das Unionsrecht gebietet jedoch, ihm die Aufenthaltserlaubnis nur dann zu versagen, sofern er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.

Im hier zugrunde liegenden Fall wurde der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, 1996 als Flüchtling anerkannt. Daraufhin erteilte ihm die Beklagte zunächst fortlaufend befristete Aufenthaltsgenehmigungen.

Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung wegen aktiver Unterstützung verbotener Organisationen abgelehnt

Im Februar 2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf weitere Verlängerung der humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG ab. Sie hielt dem Kläger entgegen, dass er seit 2004 in verschiedener Weise für den KONGRA-GEL aktiv sei, die Nachfolgeorganisation der verbotenen PKK. Beide Organisationen unterstützten den Terrorismus. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG* in der Person des Klägers vorlägen. Dieser allgemeine Versagungsgrund werde hier jedoch durch die spezielle Ausschlussregelung in § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Abs. 2 Satz 2 verdrängt. Danach ist einem anerkannten Flüchtling keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, da der Kläger nicht ausgewiesen worden sei.

Bei erhöhter Gefahrenschwelle Versagung der Aufenthaltserlaubnis im Einklang mit Unionsrecht

Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Berufungsgerichts auf die Revision des Beklagten aufgehoben. Sowohl aus der Gesetzessystematik als auch den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG für die hier im Streit stehende Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG gilt. Allerdings gebietet bei anerkannten Flüchtlingen die Richtlinie 2004/83/EG - sog. Qualifikationsrichtlinie - hier eine Einschränkung: Sie geht in ihrem Art. 24 Abs. 1 von einem grundsätzlichen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus. In Art. 21 Abs. 3 ermöglicht sie den Mitgliedstaaten allerdings in Fällen, in denen deren völkerrechtliche Verpflichtung auf Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht eingreift, die Versagung eines Aufenthaltstitels. Auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung kann sich u.a. derjenige nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmelandes anzusehen ist. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber einem Flüchtling steht demzufolge nur dann im Einklang mit Unionsrecht, wenn sein Verhalten diese erhöhte Gefahrenschwelle überschreitet. Dies gilt auch dann, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht beabsichtigt ist.

OVG muss Schwere der vom Kläger ausgehenden Gefahr beurteilen

Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zur Schwere der vom Kläger ausgehenden Gefahr getroffen hat, konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob im Fall des Klägers die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG mit Blick auf die erhöhte Gefahrenschwelle der Qualifikationsrichtlinie vorliegen. Das Verfahren war daher an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen, um den Sachverhalt insoweit weiter aufzuklären.

* § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG lautet:

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn einer der Ausweisungsgründe nach § 54 Nr. 5 bis 5b vorliegt. Von Satz 1 können in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zugelassen werden, wenn sich der Ausländer gegenüber den zuständigen Behörden offenbart und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

§ 54 Nr. 5 AufenthG lautet:

Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn
5. Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen.

Vorinstanzen:

Oberverwaltungsgericht Koblenz, Urteil v. 24.03.2011 - 7 A 11435/10 -
Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil v. 19.11.2010 - 2 K 629/10.NW -

Weitere Entscheidungen zu diesem Thema:

Keine Niederlassungserlaubnis bei Unterstützung von Vereinigungen mit terroristischem Hintergrund (Bundesverwaltungsgericht, v. 15.3.2005 - BVerwG 1 C 26.03 -)
Bei besonders schweren Straftaten ist Ausweisung auch nach mehr als zehn Jahren Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat möglich (Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 22.5.2012 - C-348/09 -)

Angaben zum Gericht:

Gericht: Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsart: Urteil

Datum: 22.05.2012

Aktenzeichen: BVerwG 1 C 8.11



Eingestellt am 24.05.2012 von Rechtsanwalt Bosche
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